16.06.2025

Die Dinge beim Namen nennen und Konsequenzen ziehen

Der Rücktritt von Markus Kurze ist ein überfälliger Schritt – aber er darf nicht das letzte Wort sein. 


Die bekannt gewordenen Vorwürfe sexueller Belästigung während einer offiziellen Veranstaltung des Landtages werfen weitreichende Fragen auf: nicht nur nach individuellem Fehlverhalten, sondern nach einer politischen Struktur, in der solche Übergriffe bislang eher geduldet wurden, als sie zu unterbinden.

„Ein Rücktritt beseitigt kein strukturelles Problem“, stellt Susan Sziborra-Seidlitz, gleichstellungspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, klar. „Sexuelle Übergriffe im politischen Raum wurzeln in Machtgefällen. Wer solche Taten relativiert oder sprachlich verharmlost, entzieht sich der Verantwortung und verweigert die überfällige Auseinandersetzung mit einem tiefgreifenden Kulturproblem.“

Die offizielle Begründung des Rücktritts durch Herrn Kurze – ein angeblich zerrüttetes Vertrauensverhältnis zu Fraktionsmitarbeiterinnen – verfehlt den Kern des Geschehens in beunruhigender Weise. Es handelt sich nicht um ein Kommunikationsproblem unter Fraktionen, sondern um einen sexuellen Übergriff. Diese Wahrheit muss ausgesprochen werden, wenn politische Verantwortung mehr sein soll als ein bloßes Lippenbekenntnis.

„Wer einen Übergriff als ‚verunglückten Handkuss‘ abtut und diese Wortwahl reproduziert, ist Teil des Problems. Verharmlosende Sprache ermutigt Täter und isoliert Betroffene – wir brauchen eine Kultur klarer Benennung.“ Ein solcher Umgang mit dem Thema schadet nicht nur dem Ansehen des Landtages, sondern sendet ein gefährliches Signal: dass politische Macht vor Konsequenzen schützt.

Wir fordern deshalb eine grundlegende Reform im Umgang mit Macht und Verantwortung im parlamentarischen Raum:

  • Eine unabhängige, rund um die Uhr erreichbare Ombudsstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt – vertrauenswürdig, extern und effektiv.
  • Verbindliche Sensibilisierungstrainings für Abgeordnete und Mitarbeitende – regelmäßig und professionell begleitet.
  • Einen öffentlichen, sanktionsbewehrten Verhaltenskodex für politische Veranstaltungen in Verantwortung des Landtages.


„Wir haben eine klare Verantwortung gegenüber allen Beschäftigten und Gästen des Parlaments“, so Sziborra-Seidlitz. „Dabei geht es nicht um Symbolpolitik, sondern um die Integrität unserer Demokratie. Denn Vertrauen entsteht nicht durch Appelle, sondern durch Haltung, Transparenz und verbindliches Handeln. Die Erfahrungen aus dem Bundestag und die gesetzlichen Vorgaben des Hinweisgeberschutzgesetzes zeigen: Ein wirksames Verfahren ist machbar – es muss nur gewollt sein.“

„Wir fordern eine umfassende Strategie, die in allen Bereichen des Landtags ansetzt. Erstens soll eine unabhängige, externe Ombudsstelle für alle Personen, die Übergriffigkeit erleben, geschaffen werden, die rund um die Uhr telefonisch, digital und persönlich erreichbar ist und absolute Vertraulichkeit garantiert. Parallel dazu braucht es intern benannte Vertrauenspersonen in Verwaltung und Fraktionen, die speziell für Erstberatung und Verfahrensbegleitung geschult sind.

Wir brauchen darüber hinaus eine verbindliche Verfahrensordnung, die Beschwerdewege festlegt und Sanktionen bis hin zum Entzug parlamentarischer Funktionen oder Bußgeldern vorsieht. Regelmäßige Sensibilisierungs- und Präventionsschulungen für Abgeordnete und Mitarbeiter müssen, wo noch nicht vorgesehen, eingeführt werden.“

Sziborra-Seidlitz verweist darauf, dass mit dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) seit Juli 2023 ohnehin die Pflicht besteht, interne und externe Meldestellen einzurichten; der Landtag müsse diesen rechtlichen Rahmen endlich mit einem passgenauen Verfahren für sexuelle Übergriffe ausfüllen und Betroffenen volle Rechtssicherheit bieten.

„Dieses Thema darf nicht im Ältestenrat versanden“, warnt sie. „Alle Fraktionen tragen Verantwortung, den Schutz von Frauen ganz oben auf die Agenda zu setzen. Ein Parlament, in dem überwiegend Männer Gesetze beschließen, steht einer mehrheitlich weiblichen Belegschaft gegenüber. Wir schulden diesen Kolleginnen einen Arbeitsplatz frei von Angst – und wir schulden uns selbst die Glaubwürdigkeit, jene Regeln zu schaffen, die wir draußen von jedem Betrieb erwarten.“

Auch die Erfahrungen des Deutschen Bundestages mit seiner externen Meldestelle sowie die Expertise des bundesweiten Hilfetelefons 116 016 sollten einbezogen werden, um schnell ein wirksames, einheitliches Verfahren zu etablieren.

Yves Rackwitz

Mitarbeiter für Presse und Kommunikation